Wie Andrea Kuhl Status- und Würdenträger aufschließen konnte


- persönlicher Bericht von Julius Kuhl -

 

 

Ich erinnere mich an meinen ersten öffentlichen Vortrag über „Psychologie und Religion“ im voll besetzten Vortragssaal der Mariengemeinde. Der Titel war etwas provokativ formuliert: „Gott und Gehirn: Neuropsychologie des Vaterunsers“. Anschließend luden die Veranstaltungsleiter meine Frau und mich zu einem Glas Wein ein. Das Gespräch verlief für etwa eine halbe Stunde zwischen den beiden Gastgebern, einem katholischen Studienrat und einem evangelischen Pfarrer, und mir, ohne dass meine Frau irgendwelche Anzeichen von Langeweile oder Desinteresse zeigte. Im Gegenteil: Sie war sehr präsent und verfolgte das Gespräch ganz aufmerksam (vgl. „Wie Andrea Kuhl einfach „da sein“ konnte“).

Das Gespräch drehte sich zunächst um die zentrale These meines Vortrags, dass viele christliche Glaubensinhalte und Lebensweisheiten heute schon durch die Fortschritte der Psychologie und Hirnforschung erklärbar sind. Irgendwann berührte die Diskussion das Thema „Warum sind Frauen vom Priesteramt in der katholischen Kirche ausgeschlossen?“. Ich erinnere mich, dass ich – immer noch zum „Provozieren“ aufgelegt – meinte, es hätte doch der Frauenbewegung nichts Besseres passieren können als eine Papstkirche. Und als mich meine Gesprächspartner mit einem verblüfften und leicht verwirrten Blick belohnten, meinte ich: „Einen Mann dazu zu verdonnern, einen durch und durch weiblichen Gott zu verkünden“.

 

Die Diskussion ging weiter und irgendwann meldete sich meine Frau ganz vorsichtig und fragte, ob die Herren ihre Meinung dazu hören wollten oder ob das momentan den Fluss der Diskussion doch eher störe. Natürlich wollte man(n)ihre Meinung hören. Und dann sagte sie etwas, das dem Inhalt nach überhaupt nicht in die politisch korrekten Kategorien passte, aber in der Form bei den drei Männern einen inneren Ruck auslöste. Jetzt ging die Verblüffung viel tiefer und berührte unser Selbst. Und es ist kaum erklärbar, woran das lag: Meine Frau hatte einfach nur gesagt: „Ich glaube eigentlich, dass es nicht gut ist, wenn eine Frau das Pastorenamt ausübt“. Ein solcher Satz lässt sicher nicht nur jeder Feministin den Atem stocken. Der Inhalt widersprach auch voll den Auffassungen der drei diskutierenden Männer (die sie gerade wortreich ausgedrückt hatten). Trotzdem waren nun alle drei verblüfft und tief berührt. Das lag nicht an dem Inhalt dieses Satzes: Der hätte sofort starke Gegenargumente ausgelöst, die ja vorher schon im Konsens besprochen worden waren. Die ganz andere Wirkung dieses Satzes musste an den Schwingungen liegen, die ihn begleiteten.

 

Mag es die Präsenz und die Art gewesen sein, in der sie diesen Satz sagte, der uns drei Männer plötzlich im Kern berührte und unsere inhaltlichen Gegenargumente für einen Moment ganz vergessen ließ (einer sagte später: „Manchmal, ganz selten, da erlebt man Sternstunden im Leben“). Es war, als wäre ein ganzes Netzwerk von Lebenserfahrungen, Bedürfnissen, Werten, Sehnsüchten und Visionen angerührt worden, das sich nicht sagen, aber fühlen lässt, wenn man es mit seiner ganzen Person intoniert. Unsere Argumente aus der Diskussion kamen uns plötzlich recht unbedeutend vor, angesichts der existenziellen Tiefe, aus der dieser Satz kam (was natürlich nicht verhinderte, dass wir uns am nächsten Tag wieder voll auf unsere Argumente für das Pastorenamt von Frauen besannen).