Motive und Bedürfnisse


In der Psychologie wird unter einem Motiv ein Netzwerk persönlicher Erfahrungen (d. h. des Selbst) gemeint, das sich auf den Umgang mit persönlichen Bedürfnissen bezieht: Welche Erfahrungen habe ich in den vielen verschiedenen Situationen und Kontexten meines Lebens gemacht, wenn ich verschiedene Handlungsmöglichkeiten ausprobiert habe, um einem aktuellen Bedürfnis gerecht zu werden? 

 

Die Motivationsforschung unterscheidet vier für die Persönlichkeitsentwicklung zentrale Motive und die dazu gehörigen Bedürfnisse: Das Bedürfnis nach sozialem Kontakt und persönlichen Beziehungen (“Anschlussmotiv”), das Leistungsbedürfnis (etwas gut können), das Machtbedürfnis (Einfluss auf andere ausüben) und das Bedürfnis nach persönlicher Autonomie oder Freiheit (freie, ungehinderte Selbstentwicklung). Das lässt sich mit der Kurzformel ausdrücken: Motive sind intelligente Bedürfnisse. Damit ist gemeint, dass das mit einem Motiv verbundene Erfahrungswissen ermöglicht, immer wieder Handlungsmöglichkeiten zu finden, die ein aktuelles Bedürfnis kontextsensibel befriedigen: In welcher Situation kann ich z. B. mein Kontaktbedürfnis dadurch befriedigen, dass ich sehr persönliche Gefühle ausdrücke, und wann beschränke ich mich besser auf den Austausch einiger freundlicher Bemerkungen (Small Talk)? 

 

Das für die Motiventwicklung relevante Erfahrungswissen ist weitgehend unbewusst (man spricht deshalb von “impliziten” Motiven). Es kann aber unter bestimmten Voraussetzungen bewusst gemacht werden. Eine wichtige Voraussetzung dafür ist der Selbstzugang, der allerdings bei Stress (z. B. bei starkem negativem Affekt) beeinträchtigt sein kann, es sei denn der negative Affekt kann durch die Kompetenz zur Selbstberuhigung gesenkt werden. Eine große Diskrepanz zwischen dem unbewusst gefühlten Selbstbild (d. h. dem implizitem Motiv) und der bewussten Einschätzung dieses Motivs (Selbstkonzept oder explizite Ziele) ist gleichbedeutend mit einer Über- oder Unterschätzung des Motivs. Daraus entsteht ein innerer Stress- und Spannungszustand, der auf die Dauer zu psychosomatischen Symptomen und Burnout führen kann.

 

Überschätzungen eines impliziten Motivs entstehen oft durch soziale Erwartungen und Normen, etwa wenn ein junger Student sein Leistungsmotiv überschätzt, um den Leistungserwartungen der Eltern gerecht zu werden. Unterschätzungen eines Motivs können z. B. darauf beruhen, dass das betreffende Bedürfnis sozial unerwünscht ist, z. B. wenn jemand sein starkes Leistungsbedürfnis versteckt, um nicht als Streber zu gelten.

Motive - Netzwerke persönlicher Erfahrungen, die zu Bedürfnissen werden: AnschlussmotivLeistungsmotivMachtmotivFreiheitsmotiv


Vier Basismotive der Persönlichkeit

Anschluss:

Das Bedürfnis nach sozialem Kontakt und persönlichen Beziehungen

Leistung:
Das Bedürfnis, etwas gut zu können und zu machen

Macht:
Das Bedürfnis, Einfluss auf andere auszuüben

Freiheit:
Das Bedürfnis, sich frei und ungehindert selbst zu entwickeln