DZBF
Deutsches Zentrum für Begabungsforschung und Begabungsförderung

Fallbeispiel "Tobias" (Kita Hombachstraße)

Im September 2015 kam Tobias (Name geändert) mit 1;3 Jahren in die Krippe der Kita Hombachstraße. Die Trennung von den Eltern fiel Tobias nicht leicht. Mit Hilfe des Berliner Eingewöhnungsmodells konnte der Übergang von der Familie gut gestaltet werden. Tobias wirkte jedoch oft traurig. Sein Blick war wütend, die Mundwinkel hingen herab und er lächelte wenig. Es machte den Anschein, als ob andere Kinder in seiner Gruppe ihm nicht so wichtig wären. Es war zu vermuten, wie sensibel das Beziehungsbedürfnis von Tobias reagiert: Im sichtbaren Verhalten war es nicht direkt zu erkennen – als eigene Sehnsucht von Tobias war es zu erspüren. Dabei war auch zu überlegen, ob ihm vielleicht Handlungsmuster zur Kontaktaufnahme fehlten. Auf Ansprache von Kindern und Erwachsenen war bei Tobias kaum eine Reaktion in der Mimik und Gestik zu erkennen. Eigene Emotionen konnten von ihm kaum oder nur sehr schwer geregelt werden. Die eigene Selbststeuerung wirkte schwach und nahm wenig Reaktion durch seine Außenwelt auf.

 

Mit 18 Monaten wurde bei Tobias eine Entwicklungsverzögerung in den Bereichen Sprache und Motorik festgestellt. Hier erfolgte eine zusätzliche Unterstützung durch Frühförderung. Tobias bekam häufig die Sorgen und den stark defizitorientierten Blick seiner Mutter mit, da sie sich offen vor ihm mit anderen Personen darüber austauschte. Das Selbstbild von Tobias wurde durch all diese Erlebnisse sichtbar beeinflusst.

 

Was macht es mit einem Kind, oft zu hören, welche Defizite es hat oder welche Fehler es macht?

 

Uns war es in den Jahren der Begleitung besonders wichtig, dass Tobias so wie er ist auch sein darf und Akzeptanz und Wertschätzung erfährt. Wir strebten eine pädagogische Haltung an, in der unsere Fremdannahme auf seine eigene Selbstannahme wirken sollte. Und so erlebte er im Alltag Ideen zur Kontaktaufnahme mit anderen Personen. Er konnte sich sicher sein, dass die Erwachsenen der Gruppe ihn dabei eng begleiteten und unterstützten. Struktur und Regeln gaben ihm Sicherheit. Mit zunehmenden Erfahrungen wurde er mutiger und traute sich immer mehr, sich mit all seinen emotionalen Facetten zu zeigen. Es erschien uns so, dass unsere erwartungsschwache Begleitung aber beziehungssichere Präsenz direkt seine hohe Empfindsamkeit regulieren konnten. Sein Selbstbewusstsein und die Freude am Tun wuchsen sichtbar.

 

Heute erleben wir Tobias mit seinen 5;4 Jahren als einen fröhlichen, selbstbewussten Jungen, der mit Freude jeden Morgen in den Kindergarten kommt. Die Trennung von seinen Eltern fällt ihm leicht. Wichtig dabei sind ihm seine Rituale wie das Winken an der Außentür. Mit einem freundlichen Gesichtsausdruck begrüßt Tobias am Morgen die Erwachsenen und Kinder seiner Gruppe. Die Kontaktaufnahme zu den Kindern ist ihm wichtig. Er hat enge Freunde in der Gruppe und am Nachmittag finden oft Verabredungen statt. Die Entwicklung macht deutlich, dass sein anfängliches Beziehungsbedürfnis nun sichere Wege in der Beziehungsmotivation gefunden hat und sich in allen Systemen selbstbestimmt und situativ ausprobiert und so seine Selbststeuerung mit Erfahrungen bereichert.

 

Sprache ist für ihn zusätzlich ein wichtiges Instrument geworden und er drückt mit ihr Spaß und Freude aus, aber auch Ärger und Trauer können von ihm verbal geäußert werden. Tobias kennt seine Emotionen gut, weiß inzwischen, wie er sich beruhigen kann und findet angemessene Strategien oder Alternativen, um Lösungen zu finden. Tobias hat Lust am Lernen und ist neugierig auf die Welt geworden. In ungewohnten Situationen ist die Sicherheit durch eine Bindungsperson für ihn noch wichtig. Tobias zeigt uns, dass durch eine zugewandte aber bedingungsarme Beziehungspräsenz sein Selbsterleben gehoben wurde, dieses Verstehen auf seine Selbststeuerung wirkt (Annahmen der Systemkonditionierung) und er so immer mehr bei sich selbst sein kann.

 

Friederike Stelzenmüller

Leitung Kindertagesstätte Hombachstraße (Begabungspsychologische Beraterin) (Begabungspsychologische Entwicklungsbegleiterin) (Systemische Beraterin) (Heilpädagogin)



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